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Karl Christan Felmy (Diakon Vasilij)

Die »volle, bewusste und aktive Teilnahme« des Volkes Gottes an der Göttlichen Liturgie und anderen orthodoxen Gottesdiensten

In der »Konstitution über die heilige Liturgie« hat das II. Vatikanische Konzil im Jahre 1964 die Forderung nach einer »vollen, bewußten und aktiven Teilnahme« des gläubigen Volkes am gottesdienstlichen Leben, besonders an der Messe, gefordert.

Um diese Forderung recht zu verstehen, muß man sich die römisch-katholische Gottesdienst-Praxis vor dem II. Vatikanischen Konzil in Erinnerung rufen. Der Priester hatte alle liturgischen Stücke, einschließlich der Lesungen, in lateinischer Sprache laut oder still für sich zu lesen. Das galt als der eigentliche Gottesdienst. Die Teilnahme von Laien war zwar wünschenswert, für die Laien auch kirchliches Gebot, aber für den Vollzug des Gottesdienstes selbst, für seine Gültigkeit, nicht notwendig. Wurde die Messe nicht in lateinischer Sprache gehalten, so wurde das Volk mit dem Gesang von Hymnen und Liedern oder dem Rosenkranzgebet beschäftigt, während der Priester alle Teile der Messe still für sich auf Lateinisch las. Ein Vollzug der Messe, gemeinsam von Priester und Volk, war noch am ehesten möglich, wo das Volk den lateinischen (in der Regel gregorianischen) Gesang mitzusingen imstande war.

Die als Ergebnis der Liturgiekonstitution erfolgten Änderungen im Vollzug des römisch-katholischen Gottesdienstes sind radikal und bis heute spürbar. Die Liturgiekonstitution selbst sah noch den Gebrauch der lateinischen Sprache als Normallfall vor. Doch schon während des II. Vatikanischen Konzils wurde das weithin aufgegeben. Die bis dahin verordnete Passivität der Gläubigen wurde von einer zunehmenden Aktivität der Gläubigen, die bis zum Aktionismus gehen kann, abgelöst. Für die Orthodoxe Kirche besteht keinerlei Anlaß, das zu übernehmen, während sie den Grundsatz der »vollen, bewußten und aktiven Teilnahme« des gläubigen Volkes am gottesdienstlichen Leben im wesentlichen auch vertritt, wenn deutlich wird, was unter einer solchen aktiven Teilnahme zu verstehen ist.

  1. Aktive Teilnahme setzt Verständlichkeit voraus

Auf die orthodoxen Verhältnisse angewandt, bedeutet »volle, bewußte und aktive Teilnahme« des Volkes Gottes am Gottesdienst, speziell an der Göttlichen Liturgie, zunächst einmal: die Gläubigen sollen die Liturgie betend hören, sie selber beten und sie nicht durch andere Gebete ersetzen.

Eine betende Teilnahme am Gottesdienst ist nur möglich, wenn der Gottesdienst in einer den Gläubigen verständlichen Sprache gehalten wird. Die orthodoxe Kirche hat ein hohes Bild vom Menschen und seinen grundsätzlichen Möglichkeiten. So vertritt sie nicht die Meinung, daß der Gläubige nur die Sprache seines Alltags versteht und der Gottesdienst deswegen auf dem Niveau der Umgangssprache gehalten werden müsse. Im Gegenteil: Unsere gottesdienstlichen Texte, die Psalmen, Hymnen und Gesänge verlangen zumindest die Bereitschaft, ein gewisses sprachliches Niveau zu ertragen und anzustreben, damit der Gottesdienst nicht mit dem Alltag verwechselt wird und sein sprachlicher und theologischer Reichtum nicht verloren geht. In meiner aktiven Zeit als Theologie-Professor habe ich eine Vorlesung über die orthodoxe »Mariologie« gehalten und in einem mit der Vorlesung verbundenen Lektürekurs u.a. den Akathistos zur Allheiligen Gottesgebärerin mit den Studenten gelesen. Ein an der Lehrveranstaltung teilnehmender evangelischer Pfarrer fragte mich, ob die orthodoxen Gläubigen den Akathistos-Hymnus denn verstehen. Ich habe das verneint, u.a. auch mit dem Hinweis auf die schwere Verständlichkeit des Altgriechischen und des Kirchenslawischen für die Gläubigen. Ich gehe aber davon aus, daß auch Ihnen, soweit Sie als Rumänen in Ihrer Muttersprache beten, der Akathistos-Hymnos nur schwer oder jedenfalls nur teilweise verständlich ist. Das liegt daran, daß er so voll ist von Anspielungen auf die Heilige Schrift und von Zitaten aus der Heiligen Schrift, daß nur der, der die Bibel einigermaßen gut kennt, diese Anspielungen versteht und einzuordnen weiß. Bei einem Besuch in der Wiener russischen orthodoxen Kathedrale vor etwa zwei Jahren bekamen die Gläubigen ein Blatt in die Hand, auf dem der Gebrauch des Kirchenslawischen verteidigt und empfohlen wurde. Dabei erhielten sie den Rat, möglichst häufig in der russischen Bibel zu lesen. Dann würden sie auch die vielen Anspielungen des orthodoxen Gottesdienstes und seiner Dichtungen auf die Hl. Schrift verstehen und damit würden viele vermeintliche Schwierigkeiten des Kirchenslawischen entfallen. Zurück zum »Akathistos« selbst. Trotz seiner nicht ganz leichten Zugänglichkeit wird er in allen orthodoxen Kirchen gesungen. Und das ist auch richtig so; denn der orthodoxe Gottesdienst ist selbst eine Schule des Gebetes. Und von den Gläubigen, d.h. von uns allen, wird erwartet, daß wir je nach Vermögen, uns mühen, die reichen Schätze des liturgischen Gebets kennenzulernen und sie zu verstehen – verstehen nicht in dem Sinne, daß wir alles begreifen, aber in dem Sinne, daß wir beim Hören oder Lesen wissen, worum es geht.   

In der Orthodoxen Kirche hat es nie eine Kirchensprache gegeben, die so allgemein verpflichtend gewesen wäre wie das Lateinische vor dem II. Vatikanischen Konzil. Grundsätzlich kann der Gottesdienst in jeder Sprache gehalten werden. Die Griechen aber beten die gottesdienstlichen Texte in der Sprache, in der sie gedichtet wurden. Diese Sprache ist bei regelmäßiger Teilnahme am Gottesdienst weithin verständlich. Die slawischen Völker beten Teile des Gottesdienstes oder auch den ganzen Gottesdienst in kirchenslawischer Sprache. Die Sprache ist wie das byzantinische Griechisch Kirchenfremden zunächst einmal nicht ganz leicht zugänglich. Wer dagegen regelmäßig die Kirche besucht, hat kaum Verständnisschwierigkeiten. Eher besteht die Gefahr, daß er manches mißversteht, weil sich die Bedeutung mancher Wörter geändert hat. Da die Orthodoxe Kirche neben dem Prinzip der Verständlichkeit auch von einem grundsätzlichen Streben nach Schönheit geprägt ist, wird das Kirchenslawische im allgemeinen den heutigen lebenden slawischen Sprachen gegenüber als poetischer und schöner bevorzugt. Persönlich kann ich das gut nachvollziehen, ohne darüber mit Ihnen streiten zu wollen. Als Rumänen haben Sie mit diesem Problem ja nichts zu tun. Ich wollte es nur kurz erwähnen, da es eng mit der Frage nach der Verständlichkeit des Gottesdienstes verbunden ist.

  1. Die wichtigsten Gebete der Liturgie sollten laut gesprochen werden

Zur Verständlichkeit des Gottesdienstes gehört vor allem, daß Gebete, Hymnen und Lesungen überhaupt erst einmal hörbar sind. Nur an Gebeten, die man hört, ist eine »volle, bewußte und aktive Teilnahme« möglich. Das bedeutet, daß die Gebete des Gottesdienstes, speziell die der Göttlichen Liturgie, laut gesprochen werden müßten. Dies freilich ist in der Orthodoxen Kirche heute umstritten und wird nur vereinzelt so praktiziert. Im Gegenteil hat sich das stille Sprechen der liturgischen Gebete allein durch Bischof und Priester allgemein durchgesetzt und entspricht der mehrheitlich geübten Praxis.

In Bezug auf die Proskomidie vor der eigentlichen Liturgie ist diese Praxis richtig. Die Proskomidie ist m.W. immer ohne direkte Beteiligung des Volkes Gottes vollzogen worden. Indirekt beteiligt sind die Gläubigen an ihr allerdings dadurch, daß sie Zettel mit den Namen der Lebenden und Verstorbenen vorlegen, für die die Zelebranten beten sollen. Eindeutig still gesprochen werden muß auch das Gebet »Keiner ist würdig ...« vor dem Großen Einzug. Hier betet der Priester u.a.: »Mache mich fähig durch die Kraft Deines Heiligen Geistes, bekleidet mit der Gnade des Priestertums, vor diesem Deinem heiligen Tisch zu stehen und den Priesterdienst zu vollziehen an Deinem heiligen und allreinen Leibe«. Das bedeutet: in diesem Gebet geht es speziell um den Zelebranten (Bischof oder Priester) und seine persönliche Eignung zum Vollzug des Mysteriums.

Andere Gebete sind dagegen eindeutig als Gebete des gläubigen Volkes zu verstehen, die der Zelebrant in dessen Namen spricht. Unter ihnen am wichtigsten ist das eigentliche eucharistische Gebet, die sog. Anaphora, die u.a. durch die Worte des Dialogs zwischen Zelebrant und Volk eingeleitet werden: »Erheben wir die Herzen ... Lasset uns danken dem Herrn ...« Im Namen und anstelle des gläubigen Volkes spricht der Bischof oder der Priester u.a.: »Wir danken Dir auch für diesen Gottesdienst, den Du aus unseren Händen anzunehmen geruhst, obgleich vor Dir Tausende von Erzengeln und Zehntausende von Engeln stehen ...«. Auf alle diese Bitten des eucharistischen Gebetes, auch auf die Bitte um die Herabsendung des Heiligen Geistes zur Veränderung oder Verwandlung der eucharistischen Gaben, folgt notwendigerweise das »Amen« des Volkes Gottes, das durch den Chor vertreten werden kann. Das Volk steht priesterlich vor Gott, und der Zelebrant betet in seinem Namen. Wie kann das priesterliche Volk Gottes sich diese Worte zueigen machen, wenn es sie gar nicht hört? Wie viele der außer der Anaphora heutzutage still gesprochenen Gebete besser laut gesprochen werden sollten, weiß ich übrigens nicht zu sagen. In einer St. Petersburger Kirche hörte ich, wie alle Priester-gebete vom ersten bis zum letzten laut gesprochen wurden. Mir war das befremdlich; aber natürlich sind wir alle abhängig von Gewohnheiten. Insofern ist mein Gefühl der Befremdlichkeit kein Kriterium für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Praxis.

Das für das Volk unhörbare Sprechen der Gebete hängt m.E. mit dem äußerlichen Wachstum der Kirchengebäude zusammen. In einem Gotteshaus wie der Hagia Sophia sind die hinter den Altarschranken gesprochenen Gebete kaum hörbar und müßten hinausgeschrieen werden, um verständlich zu sein. Dieses Hinausschreien widerspricht aber wohl doch zu sehr dem Charakter der Liturgie. Sie ist ein Geheimnis. Geheimnis bedeutet zwar nicht unbedingt stilles Sprechen. Aber lautes Schreien ist vielleicht auch nicht angemessen. In jedem Falle hat sich das stille Sprechen der wichtigsten Gebete eigentlich »illegal« vollzogen. Denn Kaiser Justinian I., der Erbauer der Hagia Sophia, hatte in einer Zeit, in der kaiserliche Weisungen auch für die kirchliche Praxis verbindlich waren, in der Gesetzesnovelle 137 vom 26. März 565 das stille Sprechen der Gebete ausdrücklich verboten.

Und das hat m.E. seinen Grund in den Gebeten selbst. Wie erwähnt stehen die gottesdienstlichen Gebete fast ausschließlich in der 1. Person Plural. »Mit diesen seligen Mächten rufen auch wir, menschenfreundlicher Gebieter, und sprechen: Heilig bist Du ...«, sagt, um nur ein Beispiel zu nennen, das Gebet nach dem »Heilig, heilig, heilig«. Das bedeutet: Fast alle Gebete der Göttlichen Liturgie (und anderer Gottesdienste) spricht der Zelebrant im Namen des Volkes, das ja auch selbst, oder vertreten durch den Chor, sein »Amen« auf die Gebete singt. Das die Gebete bestätigende »Amen« war früher einmal so wichtig, daß es Justin der Märtyrer in seiner ziemlich knappen Beschreibung des eucharistischen Gottesdienstes ausdrücklich erwähnt. Er schreibt zum eucharistischen Gebet: »Der Vorsteher spricht mit aller Kraft Gebete und Danksagungen, und das Volk stimmt ein, indem es „Amen“ sagt«.

Besonders mit dem Einsetzen historischer Kritik in der russischen Kirche wurde die Einführung des stillen Lesens der liturgischen Gebete, besonders der Anaphora, zuweilen kritisiert und laut beklagt. Ein Liturgie-Ausleger des 19. Jahrhunderts schreibt: »Was wurde aus dem eucharistischen Kanon, jenem geheimnisvollsten Teil der Liturgie – jenem Teil, der in sich greifbare Spuren des altkirchlichen Geistes bewahrt und eine solche fromme Sorgfalt von Seiten der alten Kirche auf sich konzentriert hat? Dem Volk wird dieser Teil in dürftigen Bruchstücken vorgestellt, die zudem nicht ganz erfolgreich ausgewählt sind«. Im Eucharistiegebet gibt es »so viel hohe Gebetselemente, all das bleibt unzugänglich für das Volk«. Der Ausleger sah, welcher Verlust den orthodoxen Laien dadurch zugefügt wird, daß sie die einzigartigen Gebete der Basilius- und Chrysostomus-Liturgie im Gottesdienst nicht hören, Gebete, in denen »das ganze Wesen der Eucharistie konzentriert ist«.

Der orthodoxe Gottesdienst ist unbestritten so reich an theologischer Weisheit, daß niemand geistlich leer ausgeht, der die still gesprochenen Gebete nicht zu hören bekommt. Dennoch wird mit dem leisen Sprechen der Gebete dem Volk ein wesentlicher Teil patristischer Theologie vorenthalten, der den orthodoxen Gottesdienst, der seinem Wesen nach Anteilnahme am himmlischen Gottesdienst ist, zugleich auch zu einer Schule der Theologie macht. Kürzlich wurde darauf hingewiesen, daß die eucharistischen Gebete gegenüber den Glaubensformulierungen der Ökumenischen Synoden den Vorzug haben, daß es hier keine einseitigen Zuspitzungen oder auch Polemiken gibt, mit denen die Synoden die Gegner des rechten Glaubens treffen wollten. Deshalb verdienten sie, von den Gläubigen auch gehört zu werden. Besonders bedauerlich ist es, wenn die wunderschönen, dogmatisch reichen und weitgehend kunstvoll aus Zitaten aus der Hl. Schrift zusammengesetzten Gebete der Basilius-Liturgie unhörbar bleiben und stattdessen die Gesänge, die das entstehende Schweigen überbrücken sollen, langatmig wiederholt werden.

Gegen das laute Sprechen der Priestergebete wird häufig eingewandt, daß die Gebete durch laut hörbares Sprechen profanisiert und ihren Charakter als »Geheimnis des Glaubens« verlieren würden. Wer von einer Profanisierung spricht, scheint zu vergessen, daß heute zwar zuweilen auch nicht-orthodoxe oder sogar auch ungetaufte Menschen einen orthodoxen Gottesdienst besuchen können, daß die Mehrheit derer, die an der Göttlichen Liturgie teilnehmen, aber aus getauften orthodoxen Christen besteht, die die Myronsalbung empfangen haben und dadurch Glieder des priesterlichen Volkes Gottes sind. Der Glaube andererseits bleibt Geheimnis, auch wenn er laut bekannt wird. Der Apostel Paulus schreibt: »Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist geoffenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, verkündigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit« (1Tim 3, 16). Dies alles wird offen benannt. Aber es ist Geheimnis, weil es alles menschliche Begreifen und Verstehen übersteigt.

In der Göttlichen Liturgie und in anderen Gottesdiensten wie z.B. dem Hesperinos wiederholt sich der Ausruf des Diakons: »Beugen wir unsere Häupter vor dem Herrn«. In der Götttlichen Liturgie aber ruft der Diakon kurz vor der Kommunion der Laien: »Beugt eure Häupter vor dem Herrn«. Dieser Ausruf bezog sich ursprünglich auf die Kategorie von Büßern, die den ganzen Gottesdienst über, d.h. auch während des eucharistischen Gebetes, in der Kirche verbleiben und dieses Gebet hören durften, die aber nicht zur Kommunion zugelassen waren und deshalb nach den Gebeten, aber vor der Kommunion, die Kirche verlassen mußten. Das bedeutet u.a.: auch wer aus irgendwelchen Gründen die hl. Kommunion nicht empfängt, ist voll berechtigt, alle wesentlichen Gebete der Liturgie zu hören.

Bei dem Hinweis auf die mögliche Profanisierung des Gottesdienstes handelt es sich wenigstens noch um ein theologisches Argument. Schwächer noch ist der Einwand, die Gläubigen würden die still gesprochenen Priestergebete ohnehin nicht verstehen. Das mag zuweilen so sein, aber das ist bei dem erwähnten Akathistos-Hymnos und bei den wunderbaren Gebeten im Hesperinos von Pfingsten auch nicht anders. Das noch schwächere Argument, ein lautes Sprechen der Gebete würde den Gottesdienst ungebührlich verlängern, könnte bereits ein Blick auf die Uhr entkräften.

  1. Verhindert die Ikonostase eine aktive Beteiligung der Gläubigen am Gottesdienst?

Schranken, die den Altarbereich von dem übrigen Kirchenschiff als dem Ort der Laien abtrennten, hat es in der wohl ältesten Hauskirche in Dura Europos aus der Zeit um 232/33 allem Anschein nach noch nicht gegeben. In der Zeit der Konstantinischen Wende wurde in Aquileia in Norditalien erstmals ein eigenständiger Kirchensaal gebaut, während es sich bei den früheren kirchlichen Bauten, z.B. der Kirche von Dura Europos, noch um zur Kirche umgebaute Privathäuser gehandelt hatte. In dem neuen Kirchensaal von Aquileia aus der Zeit der Konstantinischen Wende erhielt der östliche Teil (später der ganze Raum) einen Mosaikboden und eine Schranke, an der vermutlich ein Gitter befestigt war, das den Altarbereich mit dem Sitz des Bischofs und der Presbyter von dem Raum der Laien abtrennte.

Seiner berühmten Kirchengeschichte hat Eusebius von Caesarea (gest. 339) als 10. Kapitel die Predigt des Bischofs Paulinus von Tyrus zur Weihe einer Kirche beigefügt, die bereits eine »mystische« Darlegung der Bedeutung des Gotteshauses enthält. In dem Bau befinden sich noch keine Bilder. Aber er selbst ist »Bild« des himmlischen Tempels, der wie der Tempel Salomos und später die klassischen orthodoxen Kirchen dreigeteilt ist mit einem Vorraum und dem durch eine Schranke und einen Triumphbogen vom Kirchenschiff abgeteilten Altarraum.

Schranken an der Grenze zum Altarraum gibt es auch im mittelalterlichen Westen, hier in der Gestalt des sog. Lettners. In ihrer Bedeutung sind die Altarschranke im Osten und der mittelalterliche westliche Lettner grundverschieden. Der Lettner schützt nicht den Altar, sondern trennt den Raum der Laien von dem der Kleriker. Deswegen befindet sich in ihm sehr häufig an der Stelle der mittleren Königlichen Pforte ein Altar, der sog. Kreuzaltar, der vom Kirchenraum her offen zugänglich ist.

Die Altarschranken erscheinen im Osten zunächst als sog. Templon. Ein Templon bestand anfangs nur aus einer relativ niedrigen Schranke mit Säulen dazwischen, die einen Architrav darüber trugen. In späterer Zeit wurden Vorhänge und Bilder zwischen den Säulen angebracht. Aus dem Templon mit Bildern zwischen den Säulen entwickelte sich die Ikonostase, die in Rußland im 14. und 15. Jahrhundert ihre größte Höhe erhielt.

Die Frage, ob die Ikonostase eine aktive Beteiligung des Volkes Gottes am Gottesdienst behindert oder gar verhindert, kann grundsätzlich verneint werden. Zwar trennt sie den Altarbereich von dem Teil der Kirche ab, in dem das gläubige Volk steht. Aber die Bilder auf der Ikonostase verbinden auch Altarraum und Kirchenschiff; denn sie zeigen in der sog. Deisis-Reihe u.a. den Herrn, der nach orthodoxem Glauben in verborgener Herrlichkeit zur Liturgie kommt und im Gottesdienst wirkt; sie zeigen Seine Allheilige Mutter, die für uns und mit uns im Gottesdienst betet; sie zeigen in der Deisis-Reihe die für uns betende Himmlische Kirche, und sie zeigen in der Festtagsreihe die wesentlichsten kirchlichen Festereignisse, die im Gottesdienst Gegenwart werden. Die Ikonostase unterscheidet sich, ungeachtet ihrer auch trennenden Funktion damit wesentlich von dem wirklich nur trennenden westlichen Lettner. Durch die Einzüge aus dem Altarraum und zurück zum Altar erhält der Gottesdienst eine Dynamik, die ihn vor Langweiligkeit bewahrt. Und schließlich: bei aller aktiven Gemeinsamkeit von Priestern und Volk im Gottesdienst ist diese Gemeinsamkeit doch keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Gabe Gottes an Sein Volk. Das kann die orthodoxe Bilderwand ausdrücken.

Allerdings gibt es ein Problem: die Öffnung bzw. Schließung der Türen während der Liturgie. In der russischen Gemeinde des Moskauer Patriarchats in Nürnberg werden sie nur kurz vor der Priesterkommunion geschlossen. Ich habe in Rußland aber Gottesdienste erlebt, in der die Türen zum Altarraum fast die ganze Zeit geschlossen sind. Wenn dann in der Liturgie kein Diakon mitwirkt, der eine gewisse Verbindung zwischen Altarraum und Kirchenschiff bewirkt, zeigt die Ikonostase nur ihre trennende Funktion und läßt in diesem Fall ihren verbindenden Aspekt vergessen.

  1. In der Hl. Kommunion verwirklicht das Volk Gottes Sein Königliches Priestertum

Seit dem 4. Jahrhundert hat sich in der Kirche in Ost und West ein zunehmend seltener Eucharistieempfang der Laien durchgesetzt – im Westen lange Zeit radikaler als im Osten. In der Römisch-katholischen Kirche hat sich das seit den Zeiten von Papst Pius X. radikal verändert. Um den Kommunionempfang der Laien zu befördern, wurde hier die früher in Ost und West ziemlich ähnliche Praxis des Fastens vor der Kommunion der Laien Schritt für Schritt erleichtert, am Ende strenggenommen, faktisch aufgegeben.

Zunächst aber war ein sehr häufiger Kommunionempfang die Regel in der Alten Kirche. Der hl. Basilius d.Gr. setzte einen viermaligen Empfang der Hl. Eucharistie in der Woche voraus. Das bedeutete, daß die gläubigen Laien die Heiligen Gaben bei sich zu Hause für den Kommunionempfang aufbewahrten, wie es auch bei dem hl. Justin und bei Tertullian bezeugt ist. Der hl. Johannes Chrysostomus sah sich dagegen wenig später veranlaßt, gegen den seltener gewordenen Kommunionempfang zu predigen. In der 3. Homilie zum Epheserbrief ruft er aus: »O der Gewohnheit! O des Vorurteils! Umsonst wird das heilige Opfer tagtäglich dargebracht, umsonst stehen wir täglich am Altar. Niemand kommuniziert«. Der hl. Johannes Chrysostomus läßt dabei auch den Hinweis auf die Unwürdigkeit der Gläubigen nicht gelten: Wer meine, er sei nicht würdig, um zu kommunizieren, der sei auch der Gemeinschaft der Gebete nicht würdig.

Mehrere altkirchliche Synoden beließen es nicht bei Ermahnungen und Aufrufen, sondern drohten denen, die nicht kommunizierten, mit Strafmaßnahmen. Der 9. Apostolische Kanon und die 2. Regel des Konzils von Antiochien verbieten die Teilnahme an der Liturgie ohne Teilnahme an der Kommunion. Das scheint dennoch wiederholt vorgekommen zu sein; denn der hl. Johannes Chrysostomus rügt eben dieses Verhalten, droht aber nicht mit Ausschluß, sondern lädt vielmehr zur Teilnahme an der Kommunion ein.

Gleichzeitig wurden die Regeln zur Vorbereitung auf den Kommunionempfang zunehmend verschärft. Nüchternheit vor dem Kommunionempfang hatte spätestens Tertullian bereits vorausgesetzt. Kanon 29 des Trullanum bestätigte frühere Entscheidungen, die das Fasten der Zelebranten und Kommunikanten vor der Feier der Liturgie forderten. Seit dem 12. Jahrhundert wurde die Beichte vor dem Kommunionempfang verpflichtend. Und das russische Typikon forderte ein siebentägiges Fasten; die dem russischen Služebnik seit 1699 beigefügte »Lehrunterweisung« (Учительное Извстiе) ermäßigte diese Forderung für Gläubige, die regelmäßig am Gottesdienst teilnahmen, auf drei Tage oder auch nur einen Tag. Gemeinhin wird auch sexuelle Enthaltsamkeit der Ehepaare am Vorabend vor der heiligen Kommunion vorausgesetzt (5. Antwort des hl. Timotheos von Alexandrien).

M.W. ist die Vorbereitung auf die Kommunion durch das Lesen bestimmter Gebete durch keinen Kanon geregelt, aber sie entspricht lebendiger orthodoxer Überlieferung. Verbreitet ist die Forderung, den Bußkanon zu unserem Herrn Jesus Christus, den Gebetskanon zur Allheiligen Gottesgebärerin, den Kanon zum Schutzengel und die »Akoluthie zur heiligen Kommunion« zu lesen. Als unerläßlich gilt allenthalben die Enthaltsamkeit von Speisen und Getränken von Mitternacht an bis zum Kommunionempfang. Wenn ich im folgenden auch von Stimmen spreche, die aus bestimmten Gründen Erleichterung beim eucharistischen Fasten fordern und als Priester gewähren, so wird die Forderung nach dem Fasten von Mitternacht an in aller Regel nicht eingeschränkt. Töricht handeln freilich Priester, die auch die Einnahme von Medikamenten (ggf. mit Wasser) vor der Kommunion ausschließen wollen.  

So wünschenswert und heilsam die Vorbereitung auf die Kommunion durch Gebet und Fasten auch ist, so ist ihr eigentliches Ziel das Wachsen der Gläubigen im geistlichen Leben und nicht der Ausschluß von der heiligen Kommunion. Besonders der hl. Nikodimos vom Hl. Berg Athos (Nikodimos Ajoritis) und der hl. Ioann von Kronštadt (bei St. Petersburg) haben den zunehmend einschränkenden Tendenzen entgegenzuwirken versucht und ein Umdenken in der Frage der Kommunionhäufigkeit der Laien bewirkt. In Anlehnung an 1Kor 11, 27 ff., wo der hl. Apostel Paulus vor einer unwürdigen Kommunion zum Gericht warnt, verwies der hl. Ioann darauf, daß die wichtigste Voraussetzung für den Kommunionempfang nicht die Erfüllung der Fasten- und Gebetsregeln, sondern außer der »Bereitschaft des Herzens für Gott«, »innerer Besserung« und dem »aufrichtigen Glauben«, daß »unter der Gestalt von Brot und Wein« der »allerreinste Leib und das allerreinste Blut des Erlösers empfangen« werde, daß »der Erlöser selbst mit dem Mund« in das Herz aufgenommen werde, daß die gläubigen Kommunikanten »ein Fleisch und Blut mit Ihm« werden und »ein Geist«, der feste Glaube an die Vergebung der Sünden im Heiligen Mahl, d.h. darum, daß »Er als göttliches Feuer durch Sein Blut alle [...] Sünden vergibt und reinigt«. In einer Predigt sagte er: »Darum übergebe sich ein jeder von euch im Bewußtsein seiner Unwürdigkeit, die göttlichen Geheimnisse zu empfangen, vollkommen der Barmherzigkeit des Herrn, damit Er selbst durch Seine Gnade euch des Empfanges Seiner heiligen Geheimnisse würdig mache; jeder sei zuversichtlich, niemand schwanke, sei kleinmütig, verzage, indem er sich seine Fluchwürdigkeit und Untauglichkeit vorstelle; vom Kelch wird allen die Gnade des Gebieters gereicht und die große Verzeihung und Reinigung von Sünden. Nur glaubt und vertraut«.

Wenn möglicherweise hier und da unter orthodoxen Gläubigen die Meinung besteht,  orthodoxe Christen müßten und könnten sich durch die Einhaltung aller Regeln zur Kommunionvorbereitung selbst würdig machen, so hat der hl. Ioann von Kronštadt diese Vorstellung in großartiger Weise widerlegt. Deswegen ist ihm die russische Kirche – nicht in ihrer Gesamtheit, wohl aber in weiten Kreisen – in bezug auf einen häufigeren Eucharistieempfang der Laien gefolgt.

Die Teilnahme der Laien an der Hl. Kommunion als den eigentlichen Normalfall (von dem es selbstverständlich immer auch Ausnahmen geben kann und muß) ist gewissermaßen der Höhepunkt einer »vollen, bewußten und aktiven Teilnahme« der Gläubigen an der Liturgie. Die Vorbereitung auf die Hl. Kommunion gehört grundsätzlich zu den Voraussetzungen des Eucharistieempfanges. Aber es gibt keinen Grund, von den Laien hier mehr zu verlangen als von den Priestern und Diakonen (mit Ausnahme vielleicht der Beichte, über die noch gesondert gesprochen werden sollte). In der Orthodoxen Kirche ist nicht vorstellbar, daß ein Gläubiger sich selbst Rechte anmaßt, die ihm nicht zukommen, z.B. das Recht zur Leitung der Eucharistiefeier. Das Recht zum Kommunionempfang dagegen teilen die Laien grundsätzlich mit Bischöfen, Priestern und Diakonen. Als getaufte und mit dem Hl. Myron gesalbte Gläubige, sind sie grundsätzlich berechtigt, die Hl. Kommunion zu empfangen. In diesem Sinne ist die Myronsalbung gelegentlich als Laienordination bezeichnet worden, weil die Laien durch sie dazu berufen sind, aktiv am Gottesdienst teilzunehmen und ihr Priestertum u.a. in der Kommunion der heiligen Gaben zu verwirklichen. Hier kann man sich auch auf den hl. Johannes Chrysostomus berufen, der in seiner 18. Homilie zum 1. Korintherbrief gesagt hat:

»Es gibt Fälle, wo der Priester sich nicht von dem unterscheidet, was ihm unterstellt ist, z.B. wenn es darum geht, die Furcht erregend Geheimnisse zu kommunizieren. Wir alle werden ihrer in gleicher Weise gewürdigt; nicht so wie im Alten Testament, wo der Priester etwas aß und das Volk etwas anderes und wo es dem Volk nicht erlaubt war, an dem Anteil zu haben, woran der Priester Anteil hatte. Jetzt ist es nicht so; sondern allen wird ein Leib und ein Kelch vorgelegt. Auch an den Gebeten wirkt, wie jeder sehen kann, das Volk viel mit [...] Wenn wiederum die Zeit zur gegenseitigen Gewährung und zum Empfang des Friedenskusses heranrückt, küssen wir einander in gleicher Weise. Auch beim Vollzug der Mysterien selbst betet der Priester für das Volk und das Volk betet für den Priester, weil die Worte »mit deinem Geist« nichts anderes bedeuten als eben dies. Auch die Dankgebete sind allgemeine, weil nicht nur der Priester allein die Danksagung darbringt, sondern auch das ganze Volk. Nachdem der Priester zuerst die Antwort vom Volk empfangen hat und dann die Zustimmung, daß das Vollzogene ›würdig und recht‹ ist, beginnt der Priester den Dank. Und was wunder, wenn zusammen mit den Priestern auch das Volk ruft, wenn es diese heiligen Lieder zusammen mit den Cherubim und den oberen Mächten darbringt«.

Der hl. Johannes Chrysostomus hat in dieser Homilie sehr schön ausgedrückt, worin »die volle, bewußte und aktive Teilnahme« der orthodoxen Laien am Gottesdienst besteht: In dem Friedenskuß (von dem ich heute absichtlich nicht gesprochen habe, weil die Zeit dazu fehlt), in den Akklamationen, z.B. dem »Würdig und recht«, mit denen die Laien das Gebet des Priesters aufnehmen, in der Teilnahme am Eucharistiegebet, das der Priester für das Volk und mit dem Volk betet und in der Hl. Kommunion, in der das Volk an denselben Gaben teilhat, die auch der Bischof, die Priester und die Diakone empfangen. Das ist der Höhepunkt einer »vollen, bewußten und aktiven Teilnahme« des Volkes Gottes an der Liturgie.

Vortrag gehalten in der Kapelle des Hl. Siluan in München, am 19. Nov. 2016