ORTHODOXEs KIRCHENZENTRUM MÜNCHEN

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Aus der Hektik des Alltags treten, zu sich kommen, meditativ beten:

Jeden Mittwochabend um 18 Uhr beten Menschen in der Kapelle des Heiligen Siluan  das Jesusgebet. Es umfasst nur einen einzigen Satz:


„Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“

Die Bitte um Gottes Erbarmen, die der blinde Bettler Bartimäus rief, als er Jesus kommen hörte. Jede und jeder ist eingeladen, sich in der Ruhe der kleinen Kirche innerlich diesem Gebet zu widmen.

 
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Das Jesusgebet als Quelle der Kraft


Ein gemeinsames Gebet, dessen Kraft sich in jedem Menschen ausbreiten kann. Die Stille und Konzentration in der Gemeinsamkeit ist Quell der Kraft und Ansporn, das Gebet für sich mit zu nehmen nach draußen in den Alltag.


Denn, so heißt es im berühmten Buch „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“: „Setz dich still und einsam hin, neige deinen Kopf, schließe die Augen, atme recht leicht, blicke in dein Herz, führe deinen Geist, das heißt das Denken, aus dem Kopf in das Herz. Beim Atmen sprich, leise die Lippen bewegend oder nur im Geiste: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner. Gib dir Mühe, alle fremden Gedanken zu vertreiben. Sei still und habe nur Geduld und wiederhole diese Beschäftigung recht häufig.“

 

Das Buch erschien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland und zählte zu einem der am meisten gelesenen Bücher seiner Zeit. Es fand später auch im Westen große Verbreitung. Der anonyme Pilger  beschreibt darin seine zweifellos authentischen Erfahrungen mit dem „Jesusgebet“.

 
Das Jesusgebet als Ausdruck der Liebe


Dieses Gebet kommt aus einer tiefen inneren Sehnsucht, die im Menschen wohnt: Es zeugt von der Sehnsucht nach Gott und ist kein Weg, der aus Angst oder aus dem Wunsch nach göttlicher Belohnung gewählt wird. Es ist vielmehr ein Weg der Liebe.
 

Das Jesusgebet als unablässiges Gebet

Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner: Das kann einen Tag und Nacht begleiten. Es wurzelt sich, immer wieder gesprochen, tief im Herzensgrund ein und wird zum ständigen Begleiter des Lebens.

Ein geistlicher Schriftsteller formulierte einst, es könne wie Perlen an einer Kette das Leben zu etwas Kostbarem werden lassen, nämlich zum unaufhörlichen Gebet. Kirchenvater Augustinus hat das auf seine Weise so ausgedrückt: „Dein Sehnen ist dein Gebet, und wenn es ein ununterbrochenes Sehnen ist, dann ist es ein immerwährendes Gebet. Nicht umsonst sagt der Apostel: ‚Betet ohne Unterlass!’ Die Sehnsucht ist ein inneres Beten. Willst du ohne Unterlass beten, dann höre nicht auf, dich zu sehnen. Erkaltete Liebe ist das Schweigen des Herzens. Glut der Liebe ist lautes Rufen des Herzens. Wenn die Liebe bleibt, rufst du. Wenn du immerfort rufst, sehnst du dich immerzu. Wenn du die Sehnsucht hast, suchst du in deinem Herzen die Ruhe in Gott.“

 
Das Jesusgebet als Gebet des Herzens


Das Jesusgebet  „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner“ setzt voraus, dass es mit und im Herzen vollzogen wird. Es ist ein meditatives Gebet, ein Königsweg, ein Schatz, der den Menschen von GOTT geschenkt ist.
“Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ schreibt Paulus an die Galater.


Das Jesusgebet als Gebet der Sammlung auf Gott

Das ergänzt der große Kirchenlehrer Gregor von Nyssa, der im vierten Jahrhundert lebte, mit folgendem Satz: „Der Bräutigam ist anwesend, aber er ist nicht zu sehen.“ Damit spielt er einerseits auf Jesu Gleichnis von den klugen Jungfrauen an, die stets bereit zur Hochzeit sind und ihre Öllampen gefüllt haben. Womit, genau gesehen, das unablässige, achtsame Gebet gemeint ist. Andererseits bezieht sich der Satz auch auf die Bildlosigkeit des Gebets. Der in England lebende orthodoxe Bischof Kallistos Ware fasst das so zusammen: „Das Jesusgebet ist keine Form vorstellungsgebundener Meditation. Es ist ein Sich-Sammeln auf die Worte oder vielmehr in den Worten des Gebetes, abgewandt von allen Vorstellungen und Bildern. Es ist keine hypnotische Beschwörung, sondern eine an eine Person gerichtete, wache Anrufung.“   


Das Jesusgebet als Weg

 

Könnte man das Gebet „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner“ auf einem Blatt Papier darstellen, könnte es  einem Weg gleichen, der sich in unendlich vielen Schleifen aufwärts bewegt, einer flach gedrückten Spirale ähnlich. Denn es beschreibt die dynamische Beziehung zwischen Gott und Mensch: Das Jesusgebet beginnt mit dem Wort „Herr“, also der Anbetung und endet mit dem anderen Pol, den Worten „Dich meiner“.

Außerdem ist es verbunden mit der Reue, weil das Flehen um das Erbarmen Gottes von der Sehnsucht des Menschen zeugt, sich zu besinnen und umzukehren. So, wie im biblischen Gleichnis vom Sohn, der in der Ferne seinen Erbteil durchbringt, hungert, fast verhungert und sich schließlich zerknirscht auf den Weg nach Hause macht. Er will beim Vater nicht als Sohn, sondern als Tagelöhner arbeiten. Der aber, voller Freude über die Heimkehr des verlorenen Sohnes, feiert ein Fest und bekleidet ihn mit dem Ehrenrock.

So führt das Jesusgebet wieder zum „Herr“ zurück. Denn immer aufs Neue lässt Gott gnadenhaft sein aus der Liebe gespeistes Erbarmen als Heilstat am Menschen wirksam werden.

 
Das Jesusgebet als Gebet des Gottesnamens

 

Das Jesusgebet kann also als eine Art von komprimiertem Glaubensbekenntnis verstanden werden. Der unbekannte Autor des berühmten Buches „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“ fasst dies lakonisch so zusammen:
„Der göttliche Name Jesu Christi enthält in sich alle vier evangelischen Wahrheiten.“

Jesus Christus selbst sagt im „Hohepriesterlichen Gebet“ des Johannesevangeliums: „Ich habe Deinen Namen den Menschen offenbart.“ Ein Schlüssel. Deshalb lautet die erste Bitte des Gebets des Herrn „Geheiligt werde Dein Name“, deshalb wird im Namen des Dreieinen Gottes getauft, deshalb fordert Paulus auf, im Namen Jesu die Knie zu beugen. „Denn Gott hat ihm den Namen gegeben, der über allen Namen ist.“
Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme Dich meiner.

 

Das Jesusgebet als Quintessenz des Glaubens


Wer in diesem Namen betet, der über allen ist, betet auch für alle. Eindrucksvoll haben das Alphonse und Rachel Goettmann in ihrem Buch über das Jesusgebet zum Ausdruck gebracht:

„Das Jesusgebet umfasst alles: Himmel und Erde, Mensch und Gott. Es ist die Quintessenz, ein Weg der Liebe, auf dem Mensch und Gott sich begegnen, es ist der Ort ihres Bundes, wo sie ihr Innerstes austauschen in einer grenzenlosen Gemeinschaft. Denn wenn der Mensch sich in seine innerste Mitte versenkt, verlässt er paradoxerweise sich selbst, um zum ‚Nabel des Alls‘, zum glühenden Kern alles Lebens zu gelangen. Zu diesem Brennpunkt ruft uns das Leben in jedem Augenblick. Deshalb ist das Jesusgebet darauf gerichtet, ohne Unterlass vollzogen zu werden und das Ganze der Zeit zu erfüllen.“