ORTHODOXE KIRCHENZENTRUM MÜNCHEN

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Die heilige Synode der Rumänischen Orthodoxen Kirche hat das Jahr 2019 als Ehrenjahr des rumänischen Dorfes (der Priester, Lehrer und fleißigen Bürgermeister) und Gedenkjahr der Patriarchen Nicodim Munteanu und Iustin Moisescu und der Übersetzer der kirchlichen Bücher ernannt. Dementsprechend ist das Augenmerk im rumänischen Patriarchat während des gesamten Jahres auf das rumänische Dorf gerichtet, dessen Bedeutung für unser Volk und Land, was es heute für uns darstellt und wie wir dazu stehen.

Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass das Dorf unser nationales Wesen gebildet hat, dass dieser Lebensraum und die Art zu leben und das Leben wahrzunehmen in alle Rumänen gelegt wurde, auch wenn einige schon seit Generationen in der Stadt wohnen. Das Leben in den dörflichen Gemeinschaften hat uns als Volk geprägt. Hier haben wir gelernt in wechselseitiger Abhängigkeit miteinander zu leben, uns rhythmisch und zyklisch sowohl an das göttliche Gesetz, als auch an die Regeln des Universums zu halten. In diesen Gemeinschaften, welche um eine Kirche herum gebaut wurden, die nach Möglichkeit auf einer schönen Erhöhung inmitten des Dorfes gelegen und von den Gräbern der Eltern und Vorfahren umgeben ist, haben wir gelernt, dass Gott im Zentrum unseres Lebens stehen soll, da Er unser Schöpfer und Vater ist. Wir haben auch verstanden, dass wir alle, die Lebenden und Verstorbenen, Seine Kinder sind, dazu berufen, unser Schicksal auf dieser Erde zu vervollkommnen, in Liebe und Güte mit unseren Nächsten zu leben, damit diese Eigenschaften sich in uns verewigen und wir uns samt aller anderen Würdigen im ewigen Zusammenleben des himmlischen Königreichs mit Gott freuen können. Für das Leben dieser Gemeinden war das Verhältnis zu Gott bestimmend und Ordnung schaffend, es hat uns gelehrt, den Menschen neben uns und die Zusammenarbeit mit ihm zu schätzen, unser Leben auf die menschlichen Werte wie Beständigkeit, Glaube, Gerechtigkeit, Respekt, Liebe, Geduld, Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit und Opferbereitschaft zu stützen, Werte auf die sich das gesamte soziale Zusammenleben gründete und dadurch harmonisch und angenehm wurde und die Persönlichkeit der Menschen schön formte.

Heutzutage, in der Ära der Globalisierung und Technologisierung - obwohl noch fast die Hälfte der Bevölkerung im dörflichen Umfeld lebt - unterliegt das Dorf einem rasanten Prozess der Veränderungen oder sogar des Zerfalls. Die Technologisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft verändert das Profil des Bauern; er verwandelt sich immer mehr in einen landwirtschaftlichen Arbeiter oder einen Farmer. Die Bindung des Bauern zur Erde und zu anderen Bauern zerfällt, der aktuelle Motivationsfaktor ist der materielle Profit durch eine immer gnadenlosere und oft zerstörerische Ausbeutung der Umwelt. Viele moderne Einflüsse aus den Städten werden oft unüberlegt angenommen und deren negative Einflüsse wirken sich auf die Seelen der jungen Generationen aus. Da auch viele Eltern im Ausland arbeiten, wachsen Kinder und Jugendliche ohne deren elterliche Liebe auf, von Fernsehsendungen und dem Internet geformt und beeinflusst, werden Erwachsene mit verstümmelten Seelen und enden oft zwielichtig oder werden im Interesse von kleineren oder größeren Gruppen skrupelloser Leute ausgebeutet. All das führt dazu, dass der ehemals fleißige, gesetzte und verantwortungsbewusste Dorfbewohner durch egoistische, lasterhafte, einsame, psychisch labile Individuen, gleichgültig gegenüber dem allgemeinen Wohl und mit undefinierter Identität, ersetzt wird. Außerdem leeren sich viele Dörfer oder werden sogar ganz verlassen, vor allem in wirtschaftsschwachen Gebieten, da ehemalige Bauern in Städte oder ins Ausland ziehen.

Das größte Problem ist nicht nur das Verschwinden von Dörfern, sondern dass die ehemaligen dörflichen Gemeinden nicht mehr wie ,,Lebensgemeinschaften’’ funktionieren, sondern durch einfache dörfliche Anlagen ersetzt werden, welche im Inneren genauso zerstückelt sind wie Großstädte. Im neuen Dorfmodell bilden die Leute keine Gemeinschaft mehr und können ihren Lebensunterhalt im Allgemeinen nicht mehr aus der Landwirtschaft bestreiten, da das Dorf dafür nicht mehr ausreichend Möglichkeiten bietet. Immer öfters wohnen ,,im Dorf’’ jetzt sowohl dort überlebende Bauern, als auch Großfarmer, Landarbeiter, sich nach unberührter Natur und Entspannung im Landhaus sehnende Städter, manchmal auch rentable landwirtschaftliche oder tierzüchterische Geschäfte betreibende Ausländer, Touristen, also unterschiedliche Menschenschläge mit verschiedenen Identitäten, Verpflichtungen und Beschäftigungen, mit eigenem Lebensrhythmus, welche sich untereinander nicht kennen, nichts miteinander zu tun haben und für die das Verhältnis zu Gott kein gemeinsamer, formender und Zusammenhalt bietender Faktor mehr ist, sondern immer mehr ein private Sache, ohne sozialen Inbegriff. Die charakteristische Zerstückelung der kosmopolitischen globalisierten Welt schleicht sich so in das Dorfinnere ein und zerstört seine Struktur, seine Identität, und führt somit dazu, dass die im Dorf lebenden Menschen und die dort geborenen und aufwachsenden Kinder anders sind als früher. Viele haben ihren Wohnort im Dorf, ohne Bauern zu sein, ohne ein Verhältnis zum Erdboden zu haben, ganz und gar ohne Mitglieder einer Gemeinschaft mit bildenden Werten zu sein. Selbstverständlich werden auch noch den traditionellen Dörfern ähnliche Ortschaften erhalten bleiben, aber die unwiderrufliche Veränderung der gesamten Welt, also auch des Dorfes, ist eine nicht zu unterschätzende Tatsache.

Durch das Verschwinden des Bauern, so wie wir ihn kannten, verschwinden auch einige Werte. Wir sind uns der Bedeutung der Lebensart der dörflichen Gemeinden für unser Volk bewusst und werden alles uns mögliche tun, um diese Gemeinschaften weiterhin zu unterstützen. Da aber gerade jetzt und in Zukunft das Dorf Veränderungen unterworfen ist, müssen wir uns nicht so sehr um den Erhalt von Lebensformen kümmern, wo sie kaum noch erhalten sind, sondern um die Identifizierung und Pflege der Werte welche diese Lebensformen hervorgebracht haben. Formen sind vergänglich, Werte ewig.

Diese Dinge schreibe ich als Mensch, der ich im Dorf geboren und aufgewachsen bin, den Bauern und das Leben im Dorf liebe und ehre, mich jedes Mal freue, wenn ich meine Verwandten und das Elternhaus im Heimatdorf besuchen kann, aber in der Diaspora lebe und mir immer bewusster werde, wie wichtig die Pflege der Werte aus unseren dörflichen Gemeinden vor allem für das rumänische Volk sind, aber auch für jene, unter denen wir jetzt leben. Inmitten einer globalisierten und kosmopolitischen Welt verbindet uns einerseits die Herkunft und die Identität, aber andererseits muss uns auch die Anerkennung innerer Werte und der Blick auf gemeinsame Ziele zusammenbringen.

In dieser Hinsicht glaube ich, dass wir außer der Pflege und dem Erhalt dessen, was noch vom rumänischen Dorf übrig geblieben ist, außer der Unterstützung welche wir den Bauern, Handwerkern, den dörflichen Einrichtungen, dem Voranbringen der wunderschönen, aus zarter und ausgeglichener christlicher Seele entstandenen Volkskünste berufen sind, sowohl in unseren Gemeinden in der Diaspora, als auch in Rumänien, so genannte ,,spirituelle Dörfer’’ zu bilden, also Gemeinschaften, welche auf unseren Werten gründen, jetzt vereint und potenziert durch das Bekennen eines gemeinsamen Zieles in Bezug auf Gott.

Unsere dörflichen Gemeinden entstanden durch die Versammlung der Menschen wie eine Familie um Gott, samt aller Regeln und Schöpfungen ihrer Seelen. Diese unsere Versammlung um Gott herum wird auch jetzt, in der Diaspora oder in Rumänien, sogar in den Städten, andere Rahmen der Gemeinschaft bilden, gestützt auf den bekennenden Glauben an Christus. Dieser Glaube hat unser traditionelles Dorf geschaffen, die dörflichen Gemeinschaften, und wird auch heute neue Formen der Gemeinschaft bilden, welche wir aber, da wir nicht mehr das unterstützende Umfeld des ehemaligen Dorfes haben, nun fortlaufend verinnerlichen und pflegen müssen. Der Mittelpunkt des spirituellen Dorfes muss von Christus bewohnt sein. Das Übrige wird seinen Platz durch die Kommunion mit Ihm und den richtigen Bezug zu Ihm finden. Der Blick zu Christus und durch Ihn in die Richtung desselben ewigen Schicksals, das Teilen derselben Werte, die Liebe des Nächsten im Hinblick auf die Ewigkeit, muss die Menschen dazu veranlassen, zusammenhalten zu wollen, sich Lebensräume zu erschaffen, welche sie verbinden, und ihnen die Möglichkeit geben, durch dieses Zusammenleben die gesetzten Ziele zu erreichen. Es geht um eine Organisation, welche auf die Anforderungen und Nöte der heutigen Menschen eingeht, wo auch immer sie sich befinden, welche Kinder, Jugendliche, Leute mit verschiedener Bildung und Berufen, und Senioren vereint.

Es steht also in unserer Verantwortung, die Werte des rumänischen Dorfes zu pflegen und weiterzugeben, indem wir sie hervorheben und schätzen. Der Glaube an Gott und das Leben in Kommunion mit Ihm und unseren Mitmenschen, welche das rumänische Dorf erschaffen und charakterisiert haben, samt aller innerhalb des Dorfes entstandenen Werte, welche wir geerbt und in unser Leben übernommen haben, werden dazu beitragen, dass dies Dorf in uns weiterhin lebendig bleibt, wo auch immer wir leben, indem es unser Dasein kreativ verschönert und inspiriert.

Übersetzung ins Deutsche: Sibylle Ciripoi

(Begrüßungswort in der Deisis-Zeitschrift Nr. 27/2019, Zeitschrift für Kultur und Spiritualität mit zweisprachigem, rumänisch-deutschem Text)