ORTHODOXE KIRCHENZENTRUM MÜNCHEN

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von Alexej Veselov1

Das Thema umfasst viele die Jugend betreffenden Fragen. Unter anderem könnte man über die Seelsorge für junge Menschen sprechen, über unterschiedliche Herangehensweisen bei kirchlich aktiven und weniger aktiven Jugendlichen, über Kommunikations- und Verständnisprobleme zwischen den Generationen, die Beurteilung der heutigen Jugend, praktische Fragen der Jugendarbeit und vieles mehr. Gestatten Sie mir aus diesem Grunde diesen Beitrag als eine Einführung in das Thema zu sehen, das einer weiteren Vertiefung bedarf.

Während der Vorbereitung zum Vortrag stellte sich mir zuerst die Frage: von wem ist hier eigentlich die Rede? Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Kulturen und Charaktereigenschaften denken, wenn sie das Wort „Jugend“ hören, an ganz verschiedene Personengruppen. Die einen würden Heranwachsende im Alter von 13 bis 17 Jahren als Jugendliche beschreiben, andere dagegen Studenten im Alter von 18 bis 25 Jahren. Mancher zählt sich mit 35 Jahren selbst noch zur Jugend. Für den einen ist die Jugend eine Gruppe von Herzens- und Seelenverwandten, in deren Kreis er sich wohlfühlt. Bei anderen ruft allein schon der Gedanke an eine Begegnung mit 16-Jährigen Erschaudern oder gar Abneigung hervor. Auch Politik und Wissenschaft geben keine eindeutige Definition des Begriffs. In der modernen Sozialwissenschaft zählen 13- bis 35-Jährige zu Jugendlichen. In Russland ist die Unterteilung der Jugend in drei Gruppen üblich: Heranwachsende zwischen 13 und 18 Jahren, Jugendliche zwischen 18 und 24 Jahren und junge Erwachsene zwischen 24 und 35 Jahren. In Deutschland weicht das etwas ab, aus rechtlicher Sicht zählen hier 14- bis 17-Jährige zu Jugendlichen und 18- bis 25-Jähige zu jungen Erwachsenen.


Die Zuordnung zur Jugend ist nicht allein vom Alter abhängig, sondern auch von der sozialen Einbindung eines Menschen. Einen 28-jährigen Studenten, der ein unbekümmertes Leben als Single und ohne irgendwelche Verpflichtungen führt, wird man noch zur Gruppe der Jugend zählen, einen 23-jährigen Vater von zwei Kindern mit abgeschlossener Berufsausbildung, der seine Familie ernährt, dagegen zu den Erwachsenen. In Politik, Gesetzgebung, Psychologie sowie in anderen Bereichen wird der Begriff „Jugend“ also nach Alter und Eigenschaften unterschiedlich definiert. Deshalb ist es angebracht zu fragen: wer zählt für einen Priester in Deutschland zur Jugend? Meiner Meinung nach kann man die Antwort recht einfach gestalten: es ist eine Gruppe von Menschen, die keine Kinder und keine Erwachsenen sind, und die folglich einer anderen pastoralen Herangehensweise bedarf, als Kinder und Erwachsene. Auf den ersten Blick scheint diese Definition etwas trivial zu sein. Doch sie stellt jeden Priester vor die Frage – gibt es in meiner Gemeinde etwas, was für diese dritte Gruppe angeboten wird? Habe ich neben Büchern über seelsorgerliche Theologie und Aufsätzen über die Kinderbeichte auch etwas über die Beichte von Jugendlichen gelesen? Auch wenn ich guten Umgang mit Erwachsenen und Kindern zu pflegen weiß, habe ich es gelernt, einen Dialog mit jungen Leuten zu führen? In der Gemeinde gibt es Katechese und Pilgerfahrten für die Erwachsenen, Sonntagsschule und Feste für Kinder – doch was gibt es für die Jugend? Findet man in der Bibliothek oder am Verkaufsstand Bücher, die speziell für junge Leute interessant sind? Und überhaupt – ist in meinem Bewusstsein als Priester eine klare und differenzierte Vorstellung vom Begriff „Jugendliche“ als einem Subjekt meiner aktiven seelsorgerlichen Obhut verankert? Für einen Priester eröffnet sich ein breites Tätigkeitsfeld der Seelsorge, wenn es in der Gemeinde junge Leute gibt. Wenn sie fehlen, stellt sich jedoch die Frage, wieso man sich mit jemandem beschäftigen sollte, der nicht da ist? Für wen sollte man Jugendtreffen und Bibelkreise organisieren, wenn beim Gottesdienst niemand oder nur wenige zwischen 15 und 29 Jahren anwesend sind?


An dieser Stelle komme ich zum zweiten Begriff im Titel meines Vortrags – der Mission. Bei den meisten heutigen orthodoxen Gemeinden ist lediglich eine Art der Mission vorhanden – die innere Mission unter Erwachsenen, d.h. die Verkündigung des Evangeliums und der Glaubensgrundlagen für diejenigen Erwachsenen, die von sich aus den Weg in die Kirche gefunden haben. Das umfasst die Liturgie der Katechumenen, die Kanzelpredigt, die Belehrung während der Beichte, sowie Gespräche mit Gemeindemitgliedern über den orthodoxen Glauben. Genau genommen umfasst diese innere Mission auch noch die Arbeit der Katecheten, aufklärende Gespräche mit zufälligen Kirchenbesuchern, sowie Verkündigungsgespräche vor Taufen und Trauungen, weil diese sich an bereits getaufte Menschen richten und an jene, die von sich aus in die Kirche gekommen sind. Ich möchte diese Mission „passiv“ nennen – der Mensch kommt von sich aus in die Kirche, hört von sich aus den Gottesdienst und die Predigt, stellt selbst die Fragen, möchte selbst die Taufe annehmen oder seine Kinder taufen lassen, der Priester seinerseits reagiert auf diese Bedürfnisse.


Eine Mission von Kindern gibt es per Definition nicht. Kinder kommen nicht in die Kirche, weil jemand sie zum Glauben bekehrt hat. Genauso wenig sind sie in der Sonntagsschule, weil jemand bei ihnen Interesse an der Tiefe des orthodoxen Glaubens geweckt hat. Kinder werden von den Eltern in die Kirche gebracht, von ihnen werden sie auch zum Unterricht in die Sonntagsschule geschickt.


Über die Sonntagsschule ist festzustellen, dass sie die Kinder begleitet, bis sie 11-15 Jahre alt sind. Die Glaubenskenntnisse können sich später als eine gute Grundlage für die kirchliche Integration eines Jugendlichen erweisen, doch das Wissen allein wird ihn nicht automatisch zu einem bewussten und lebendigen Glauben an Gott führen. Nach dem Abschluss der Sonntagsschule muss die weitere Grundlage für die Einführung und Integration der Jugendlichen in das Gemeindeleben geschaffen werden.


Zweifellos ist die Eucharistie altersübergreifend der Mittelpunkt im Leben jedes Kirchenmenschen. Aus Sicht der Mission aber ist in Bezug auf die Jugend allein eine aktive Mission möglich. Passive Mission ist letztlich in Bezug auf Jugendliche und junge Erwachsene zu wenig – Gottesdienst und Predigt verstehen sie in der Regel nicht und hören nicht zu, von sich aus kommen sie nicht zum Priester, stellen keine Fragen, besuchen auch nicht nach der Schule den Bibelkreis.


Das Wichtigste, worüber man sich in Bezug auf die Jugendmission verständigen muss, ist – sie ist machbar, obwohl diese Aussage bei weitem nicht von allen Priestern geteilt wird. Nicht selten wird die Meinung vertreten, dass Jugendarbeit entweder überhaupt nicht notwendig oder einfach unmöglich sei, oder zu keinerlei Ergebnis führe. Manchmal liegt der Grund für eine solche Meinung in der negativen Erfahrung beim Versuch, sich der Jugendlichen anzunehmen. Ein deutliches Beispiel: in einer Gemeinde wollte man vor Jahren eine gemeindeübergreifende Jugendfreizeit ins Leben rufen. Doch unter den aktiven Gemeindemitgliedern regte sich Widerspruch. Es stellte sich heraus, dass die Gemeinde bereits einmal versucht hatte, eine eigene Jugendfreizeit zu organisieren. Obwohl die Freizeit lediglich drei Tage dauerte und nur einige Familien teilnahmen, endete sie in einem Fiasko. Die Teilnehmer waren überfordert und erschöpft, die Organisatoren zerstritten, der erhoffte Erfolg blieb aus, und alle kehrten schlechtgelaunt und, was am traurigsten ist, zutiefst enttäuscht nach Hause zurück. Das Problem bestand nach den Worten des Gemeindevorstehers darin, dass die Gemeinde keinerlei Erfahrung besessen, und man nicht einmal gewusst habe, womit man anfangen solle. Er wagte dennoch einen erneuten Versuch. Die Jugendfreizeit wurde nun nach einer neuen Methodik durchgeführt. Inzwischen werden in dieser Gemeinde seit 7 Jahren Jugend- und Familienfreizeiten organisiert.


An diesem Beispiel ist deutlich zu sehen, dass für die Jugendarbeit ein Konzept erforderlich ist. Man kann mit Jugendlichen nicht genauso sprechen und arbeiten wie mit Kindern und Erwachsenen. Besonders wenn ein Priester kein angeborenes Talent für die Kommunikation mit Jugendlichen mitbringt, müssen methodische Konzepte besonders beachtet werden. Heutzutage findet man genügend Ratgeber zur Teenager- und Jugendpsychologie, sowie zur Kommunikation mit jungen Menschen, praktische Handlungshilfen zur Gestaltung und Organisation von Jugendgruppen, Jugendtreffs, Bibelkreisen, Freiwilligendiensten und Jugendfreizeiten. Diese Bücher sind auf der Seite der Synodalabteilung für Jugendangelegenheiten, sowie im Koordinationszentrum für den Jugenddienst in Deutschland vorhanden. Das Koordinationszentrum bietet daneben auch theoretische und praktische Unterstützung an.


Ein weiterer Grund, Jugendarbeit abzulehnen, kann im Fehlen entsprechender persönlicher Erfahrung aus dem eigenen Werdegang des Priesters und der aktiven Gemeindemitglieder liegen. Vor der Oktoberrevolution gab es in der Tat keine Erfahrung über die Jugendarbeit, in der Sowjetzeit war solche Arbeit verboten, und erst Ende der neunziger Jahre begann sich diese zu entwickeln. Entsprechend haben die meisten Geistlichen und Laien nicht über Jugendkreise und -freizeiten zum Glauben gefunden, sondern durch persönliche Bemühung. Ich bin selbst des Öfteren auf Verwunderung gestoßen. Einmal hat ein Priester es mir direkt so gesagt: „die Jugend kommt zur Tagung, läuft herum, spielt Gitarre…. Man versteht gar nicht, wofür das Ganze gut ist…“ Ein anderer Priester lehnte den Vorschlag, ein orthodoxes Jugendcamp zu organisieren, sogar mit einem gewissen Unmut ab: „20 Jahre lang gab es nichts dergleichen, wozu dann jetzt so etwas erfinden? Wenn die jungen Leute Probleme und Fragen haben, sollen sie mit der Gemeinde zu einer Pilgerfahrt in ein orthodoxes Kloster fahren. Dort wird ihnen geholfen.“ An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass beide Priester ihre Meinung inzwischen geändert haben und mittlerweile eigene Jugendfreizeiten in der Gemeinde durchführen.


Dieses Thema führt mich zum letzten Thema meines Vortrags. Wozu ist eine sogenannte besondere Jugendmission überhaupt erforderlich, wenn viele Gläubige auch ohne diese zur Kirche gefunden haben? Kann denn alles nicht wie gewohnt laufen? Ohne Frage gibt es auch heute junge Leute, die von sich aus oder mit Hilfe der Eltern zum Glauben finden. Dies ist aber eher die Ausnahme. Wichtig ist das Verständnis, dass Jugendliche vor 20 und 40 Jahren völlig andere Menschen waren, als Jugendliche heute.


Erstens hat ein junger Mensch der 90-er Jahre oder früher bereits in der Teenager-Zeit verstanden, dass er arbeiten muss, anders ausgedrückt, dass er viel arbeiten muss, um ein Ziel zu erreichen. In erster Linie musste man Stabilität erreichen – eine sichere Arbeitsstelle, eine Wohnung, ein Auto, materiellen Wohlstand. Die Jugendlichen von heute besitzen dies alles bereits von Anfang an, sowohl Haus als auch Auto und Smartphone. Hieraus folgt einerseits, dass sie alles Grundlegende schon haben und die Ziele sich in die Sphäre der Träumereien verlagern, andererseits fehlt ihnen der Wunsch, nach etwas zu streben, weil sie ja vieles schon seit ihrer Kindheit besitzen.


Zweitens sind die jungen Menschen es gewohnt, dass alles für sie und an ihrer Stelle getan wird. Stellen sie sich vor, 16-jährige Jugendliche werden zum Sport, zur Schule und zu Freunden kutschiert! Die Kinder werden von Kindheit an fast täglich zu Freizeitaktivitäten gebracht, man macht die Hausaufgaben mit ihnen, der Urlaub wird in einem Vergnügungspark verbracht, Eltern versuchen, viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Deshalb ist die heutige Jugend passiv. Es ist schwer, sie zu irgendwelchen selbständigen Tätigkeiten zu bewegen, die Kinder können elementare selbständige Aufgaben nicht erledigen. Bei Jugendveranstaltungen fallen Kinder, die vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, sofort ins Auge. Sie sind lebhaft, aktiv, suchen sich selbständig eine Beschäftigung. Man kann ihnen etwas auftragen und sich bei der Erledigung auf ihre Gewissenhaftigkeit verlassen.


Unzulässig ist dabei aber der Fehler, sich über die heutigen Kinder zu erregen oder beleidigt zu sein. Sie sind so, nicht weil sie es so wollen, sondern weil das Leben in Deutschland, die Schule, die Umgebung, soziale Medien und Tablets sie dazu gemacht haben. Es gab einen Fall, wo an einem Priesterseminar bei einer Lehrerkonferenz ein junger Lehrer vorschlug, einen Studenten wegen Häresie in einem Aufsatz zu entlassen. Ein anderer antwortete ihm, er möge dem Schüler erst einmal das Richtige beibringen. Genauso steht auch vor uns die Aufgabe – zu lehren, gemeinsam mit den Eltern und zuweilen auch an ihnen vorbei.


Wie die Erfahrung vieler Gemeinden der Diaspora zeigt, ist es das beste und relativ einfaches Mittel, Jugendliche in der Gemeinde zu finden, indem man sich diese heranzieht. Schließlich ist es eine tragische und allbekannte Tatsache, dass es in der Gemeinde stets eine Vielzahl Kinder gibt, von denen jedoch später in der Pubertät die meisten nicht mehr zur Kirche kommen. Entsprechend ist es wichtig, in der Zeit, da sie noch in der Kirche sind, solche Umstände zu schaffen, dass die Kinder diese auch nach dem Heranwachsen nicht verlassen wollen. In biblischer Sprache ausgedrückt heißt es, „die Netze auszubreiten“ und zu „fischen“. Berücksichtigt man, dass heutzutage die Pubertät mit 11 Jahren einsetzt, darf auch die Jugendarbeit nicht später als in diesem Alter beginnen, damit die Kinder mit 13-14 Jahren bereits einer Jugendgruppe angehören und bestrebt sind, diese nicht zu verlassen.


Die nächste Besonderheit der heutigen Jugend ist es, dass wir in Deutschland in einer Gesellschaft leben, für die es nur materielle Werte gibt. Die meisten Menschen streben lediglich ein bequemes Leben an. Man möchte ein großes Haus, ein gutes Auto, das neueste Smartphone, verdienten Urlaub im Ausland, gesundes Essen, usw. Nur wenige machen sich Gedanken über den Sinn des Lebens oder über irgendetwas anderes, das auch nur irgendwie mit der Ergebenheit für irgendein Ideal verbunden wäre - von Gott oder von der Errettung der Seele ganz zu schweigen. Spricht man bei katechetischen Gesprächen von der Notwendigkeit des wöchentlichen sonntäglichen Kirchenbesuchs, kommt häufig die Antwort: da hat mein Kind Arbeitsgemeinschaft, Fußball, Schwimmen…. Ja, Allgemeinbildung ist notwendig. Ja, die Talente der Kinder müssen gefördert werden. Kirche und Seelenheil dagegen stehen einfach nur außerhalb der Realität dieser Menschen.
Vielleicht übertreibe ich in meinen Ausführungen etwas. Die Tatsache ist aber offensichtlich: unsere Jugend ist anders. Ich weiß nicht, ob ihre Tugend schlechter ist oder hier die altbekannte Kluft zwischen Eltern und Kindern spürbar wird. Die Jugend braucht aber eine andere Herangehensweise – eine aktive. „Zwinge zum Eintreten.“ Bevor ein moderner Mensch überhaupt fähig wird, über Gott und die Ewigkeit zumindest nachzudenken, muss man ihn gewaltsam aus dem Internet, dem Smartphone und allgemein aus der Welt herausreißen, die ihn an Händen und Füßen gefesselt haben.


Eine weitere Erschwernis, mit der ein Priester bei der Jugendarbeit konfrontiert werden kann, sind die Eltern, die häufig unbewusst bei der kirchlichen Integration ihrer eigenen Kinder stören.
Viele Migranteneltern erweisen sich bei der Erziehung ihrer Kinder in Deutschland als hilflos. Ihre eigene Erziehung basierte auf Autorität, Bestrafung war möglich. Im Rahmen der heutigen europäischen Pädagogik verlieren die Kinder bereits in der Pubertät das Gespür für die Autorität der Eltern, und begründen ihre Rechte mit Argumenten, die sie von ihren Mitschülern und Lehrern entlehnt haben. Eltern, die nicht zur Erziehung mittels Dialog und Ermahnung fähig sind, verlieren den Einfluss auf ihre Kinder. Dies spiegelt sich auch in der religiösen Erziehung zu Hause wider. Viele Eltern und Großeltern haben erst im Erwachsenenalter zum Glauben gefunden, über Krankheiten, Unglück, Probleme mit den Kindern, Heimatverlust oder das Altwerden. Es ist dies ein häufiges Bild – Eltern kommen zu den Gesprächen vor der Taufe, ohne kirchlich integriert zu sein, aber überzeugt davon, dass es Gott gibt, dass in der nie gelesenen Bibel alles richtig geschrieben steht, und dass die Taufe notwendig ist. Auch wenn die Eltern später aktive Mitglieder der Gemeinde werden, haben sie nicht den innerlichen Sturm durchlebt, der im Kopf eines Jugendlichen vor sich geht. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt.


Ungeachtet ihrer oben beschriebenen Passivität hat die heute heranwachsende Generation eine sehr komplexe Innenwelt. Der junge Mensch aus einer gläubigen Familie stellt sich Fragen, die seine im Erwachsenenalter gläubig gewordenen Eltern nie gequält haben. Gibt es denn Gott überhaupt? Warum ist die Orthodoxie die einzig wahre Religion? Ist die Bibel nicht verändert worden? Wozu fasten, beten und sonntags zur Kirche gehen? Ist die Heilige Kommunion tatsächlich Leib und Blut Christi? Und vieles mehr.


Das wesentliche Problem der Eltern liegt darin, dass sie nicht in der Lage sind, alle Fragen der Heranwachsenden gründlich und erschöpfend zu beantworten. Das Niveau der Antworten ist etwa so: warum fastet man mittwochs und freitags? Am Mittwoch wurde Christus verraten und am Freitag gekreuzigt. Diese Antwort stellt ein 8-jähriges Kind oder einen 40-jährigen Erwachsenen zufrieden, aber auf keinen Fall einen Jugendlichen. Die Frage des jungen Menschen zielte nämlich im Grunde nicht darauf, aus welchem Anlass gefastet wird, sondern wozu es überhaupt notwendig ist. So merkwürdigt es klingen mag – er benötigt eine Antwort zur Aszetik, die 40 Minuten braucht – angefangen mit der Erklärung, was Leidenschaften sind, bis hin zu einer ausführlichen Erläuterung der Bedeutung des Fastens.


Viele derartige Antworten sind mir zu Ohren gekommen. Warum sollen die Frauen in der Kirche Kopftücher tragen? Weil die Gottesmutter auf den Ikonen mit Kopfbedeckung dargestellt wird. Warum orthodox? Das ist der Glaube unserer Vorfahren. Und so weiter. Bei den heute Heranwachsenden ist aber die kritische Denkweise hoch entwickelt. Wenn sie das eine oder andere Mal solche völlig unzureichende Antworten von den Eltern bekommen haben, dann werden sie kein weiteres Mal nachfragen. Die Eltern denken hingegen, dass ihre Kinder an nichts mehr interessiert sind. Es entsteht ein geschlossener Kreis. Die Eltern versuchen zu ihren Kindern durchzudringen, die Kinder hören und verstehen sie nicht. Die Eltern reagieren genervt und wiederholen sich, die Kinder empfinden das als langweilig: man muss aber jeden Sonntag zur Kirche, man soll zur Kirche gehen, lass uns in die Kirche gehen, du warst schon lange nicht mehr in der Kirche… Der junge Mensch versteht aber aufrichtig nicht, wozu er in diese Kirche soll und was dort geschieht.


Die Art und Weise des Unterrichts in der Sonntagsschule kann dies alles noch vertiefen. Die Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren brauchen Antworten auf dem Niveau der Apologetik und der Theologie. Für den Lehrer wäre es zweckmäßig, sich bei der Vorbereitung des Unterrichts auf die Werke etwa des Hl. Theophan des Klausners, von Metropolit Hilarion (Alfejew), Sergej Chudiev oder von Professor Osipov abzustützen. Stattdessen erfolgt der Unterricht von Jugendlichen häufig auf dem gleichen Niveau wie der für Kinder. Die Lehrer verwenden für die Vorbereitung den Katechismus, Heiligenviten usw.


Ebenso wenig darf die Sonntagsschule ausschließlich in Form von Katechese erfolgen. Natürlich muss es ein bestimmtes Thema für den Unterricht geben: Liturgie, Heilige Schrift, Geschichte. Dieses Thema darf aber nicht nur erzählend dargelegt werden, wie es etwa beim Schulunterricht in Mathematik oder Sprachen geschieht. Vielmehr muss den jungen Menschen das Dargelegte bewiesen, und seine Relevanz für das Leben der Menschen dargestellt werden; beispielsweise nicht nur von den zwölf Hochfesten zu erzählen, worum es dabei geht und was an diesen Festtagen geschehen ist, sondern vielmehr auch darzulegen, wie das Leben im Kirchenjahr den Menschen prägt und wie man innerlich die mit Christus verbundenen Ereignisse „durchlebt“. Chronos und Kairos müssen Erwähnung finden, und es muss von der Möglichkeit erzählt werden, Zeit nicht ausschließlich chronologisch wahrzunehmen, wie in der modernen Welt üblich.


Hierbei sind natürlich Aufmerksamkeit und Anleitung seitens des Priesters sowohl in Bezug auf die Lehrer als auch auf die Jugendlichen selbst wichtig. Einmal las ich das Interview eines Priesters über die Jugendarbeit. Leider habe ich den Namen des Autors nicht behalten, eine seiner Aussagen blieb mir jedoch im Gedächtnis, und ich lasse mich seitdem auch selbst von ihr leiten. Der Priester sprach davon, dass Erwachsene in der Regel gewohnte Fragen zu Alltag und Familienleben stellen, auf die es einfache Antworten gibt. Wenn aber ein Jugendlicher mit seinen Fragen zu mir kommt, sagte er, sammle ich mich innerlich höchstmöglich und bereite mich auf ein langes und angespanntes Gespräch vor. Bei der Zusammenkunft mit einem jungen Menschen oder bei seiner Beichte ist es für den Priester wichtig, ihn nicht wie den gewöhnlichen Erwachsenen abzufertigen, sondern ihm sowohl Zeit als auch innere Aufmerksamkeit zu widmen.
Es gab einen Fall, wo ein Jugendlicher zu einem Priester kam. Er war unter schlechten Einfluss geraten, hatte gesündigt und suchte einen Ausweg aus der Situation. Zuerst ging er zur Beichte zu seinem geistlichen Vater, den er seit seiner Kindheit kannte. Der Priester nahm ihm einfach nur die Beichte ab, d.h. er hörte ihn an, legte ihm das Epitrachelion auf und sprach ihn von seinen Sünden los. Dem jungen Mann war aber bewusst, in welch tiefes Loch er gefallen war, und er wollte sich auf jeden Fall daraus befreien. Sich noch einmal an diesen in Ehren ergrauten Erzpriester zu wenden, wagte er nicht. So setzte er sich in den Bus und fuhr in eine andere Kirche. Der Priester dort sprach anderthalb Stunden mit ihm, analysierte die Situation, die Probleme und Lebensziele. So ist es aber nicht immer. Nicht selten kehren solche jungen Leute nicht mehr in die Kirche zurück, wenn sie beim ersten Mal keine Antwort auf ihre Fragen bekommen haben.
An dieser Stelle ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem jungen Menschen zu seinem Priester zu erwähnen. Der genannte Jugendliche hatte seinem Priester vertraut, deshalb war er zu ihm mit seinem Problem in die Beichte gekommen. Es gab jedoch kein direktes Verhältnis, deswegen erhielt er keine Antwort. Für Jugendliche ist aber gerade das unmittelbare Verhältnis sehr wichtig. Aus einer Reihe von Gründen ist der Priester gezwungen, in seinem Verhältnis zu den Gemeindemitgliedern eine gewisse Distanz einzuhalten. Mit Jugendlichen muss diese Distanz verkürzt werden, damit das Verhältnis vertrauensvoll, ungezwungen oder sogar freundschaftlich ist.


Aus diesem Grunde ist es für den Priester wichtig, mit seinen Jugendlichen persönlichen Kontakt aufzunehmen, um die Jugendmission zu verwirklichen. Dies ist ein typisches Bild nach der Liturgie: viele Menschen kommen zum Priester mit ihren Fragen, oder der Priester ist mit einigen Erwachsenen auf dem Weg zum gemeinsamen Mittagessen. In dieser Zeit hat sich vor der Kirche eine Gruppe von Jugendlichen zusammengefunden. Sie kommen nicht mit ihren Fragen zum Priester, zum Gespräch oder zum Mittagstisch. Hier ist es sinnvoll, dass der Priester die Initiative ergreift – nicht indem er einen Lehrer aus der Sonntagsschule zu ihnen schickt, oder irgendwelche Ermahnungen anbringt, sondern sich einfach nur manchmal nach dem Gottesdienst zu dieser Gruppe gesellt, um eine Minute mit ihnen zu reden. Zuzuhören, zu scherzen. Eine solche mehr oder weniger regelmäßige Kommunikation wird später zur besten Grundlage für die weitere seelsorgerliche Tätigkeit.


In den 60-er Jahren wurden in Deutschland tausende Kirchen gebaut. Sie wurden gebaut, weil viele Menschen zur Kirche gingen und die früheren Kirchen nicht ausreichten. In der heutigen Zeit werden wir Zeugen davon, wie diese Bauten geschlossen, verkauft, abgetragen und zu Friedhöfen umgebaut werden. Lediglich 50 Jahre liegen zwischen diesem Aufschwung in der Nachkriegszeit und dem derzeitigen Niedergang. Die meisten unserer russischen orthodoxen Gläubigen kommen heute aus Eigeninitiative in die Kirche. Sie erinnern sich noch an die goldenen Kuppeln und alten Kirchen in Russland, an die russische Seele, sie haben noch vor Augen, wie ihre Großmütter vor den in Schränken versteckten Ikonen knieten und beteten. Sie besitzen ein unbewusstes Gefühl, dass das Russische ihnen eigen ist, und das Orthodoxe angeboren. Bei ihren in Deutschland aufgewachsenen Kindern wird dieses Gefühl nicht mehr vorhanden sein. Wenn wir die heutige Jugend nicht aktiv zu Christus führen, wird sie von allein nicht kommen. Aus diesem Grunde ist die Jugendmission in unseren Eparchien lebenswichtige Notwendigkeit für die Zukunft der Kirche.

1 Priester Alexej Veselov ist Pfarrer der Gemeinde der hl. Barbara in Krefeld und Referent für Jugendarbeit der Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche/Moskauer Patriarchat. Der Beitrag ist eine Überarbeitung seines Vortrages zum gleichen Thema bei der gemeinsamen Pastoralkonferenz des Klerus der Berliner Diözese des Moskauer Patriarchats und der deutschen Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland am 3. Oktober 2018 in Bonn.

Übernommen von „Orthodoxie Aktuell. Informationen aus der Orthodoxen Kirche“, Jahrgang XXIII/7, Juli 2019, S. 2-8.