ORTHODOXE KIRCHENZENTRUM MÜNCHEN

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 Liebe orthodoxe Christinnen und Christen in Deutschland,

der Zustand, in dem sich der Mensch und die Schöpfung befinden, spiegelt sich derzeit in zwei Bereichen wider: In der Pandemie mit der Covidkrankheit und in den weltweit tobenden Kriegen, unter denen jener in der Ukraine wegen der geographischen und medialen Nähe uns am stärksten trifft.

Neben diesen drastischsten Beispielen des erschütternden Zustands, in dem wir uns befinden, sind wir an die sozialen Ungleichheiten sowie verschiedene Formen der Diskriminierung und Benachteiligung von Einzelpersonen und Gruppen erinnert. Als Zeitgenossen leiden wir unter Angst, weil wir von schrecklichen Nachrichten überwältigt werden, die uns ständig an den Tod als allgegenwärtige Realität erinnern.

Sowohl die Pandemie als auch die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Krise weisen auf unsere menschliche, psychologische und spirituelle Instabilität hin. Es entsteht Panik, weil vermutet wird, dass Nahrung oder Energie gemindert oder gar nicht mehr vorhanden sein werden.

Die über Jahrzehnte gewachsene Konsummentalität tritt in diesen Krisensituationen deutlich zutage. Die Gier nach materiellen Gütern und nach der Kontrolle und Ausbeutung natürlicher Ressourcen bringt jeden Menschen in Konflikt mit seinem Gewissen, aber auch in Konflikt mit anderen Menschen und der gesamten Schöpfung.

Gibt es Lösungen für die aktuelle Situation? Wir bekennen, dass alle Probleme bei der zweiten und herrlichen Wiederkunft Christi überwunden sein werden. Dann, wenn die Menschen mit der gesamten Schöpfung in ein ewiges und seliges Leben in Christus verklärt werden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns inzwischen mit dem Zustand des gegenwärtigen Menschen und der Welt abfinden sollten. Ganz im Gegenteil!

Als Zeugen und Berufene eines ewigen und freien Lebens bezeugen wir dies durch das christliche Ethos im auferstandenen Christus.

Dieses Ethos hat sich im Laufe der Jahrhunderte als ein außergewöhnliches und ununterbrochenes Zeugnis zu Christus hin entwickelt. Einer der wichtigen Aspekte dieses Ethos ist die große Fastenzeit vor dem Fest der Auferstehung Christi.

Unter Fasten verstehen wir alle eine Zurückhaltung, eine Abstinenz in erster Linie von Lebensmitteln tierischen Ursprungs und alkoholischen Getränken. Wir wissen auch, dass wir aufrichtig und mit Freude fasten sollen, ohne jemanden zu verurteilen, der nicht fastet.

Fasten hat ebenfalls einen sozialen Aspekt, der nicht weniger wichtig ist. Was wir mit unserer Zurückhaltung aufbewahren oder einsparen, sollen wir mit denen teilen, denen es mangelt.

Wir alle sind mit den wesentlichen, spirituellen Aspekten des Fastens vertraut, von denen die wichtigsten das Gebet, die Vergebung und die Demut sind. Fasten ist untrennbar mit den guten Taten verbunden. Und gute Taten sind immer eine Art Verzicht zugunsten anderer Menschen oder der Gesellschaft.

Deshalb sind wir aufgerufen, nicht nur auf bestimmte Arten von Speisen und Getränken zu verzichten, sondern auch auf Gier im Allgemeinen. Wir sind aufgerufen, jede Art von Diskriminierung von Einzelpersonen oder Gruppen zu unterlassen und uns für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Wir sind aufgefordert, Verantwortung für die Umwelt und den Energieverbrauch zu übernehmen.

Wir sind aufgerufen, keine sensationellen Nachrichten zu konsumieren und zu verbreiten, die das menschliche Leben auf verschiedene Weise stark und nachteilig beeinflussen.

Wir sind aufgerufen, für den Frieden auf der ganzen Welt sowie für die Überwindung der durch Covid verursachten Pandemie zu beten.

Mit unseren Gedanken und Handlungen können wir die Welt nicht dazu zwingen, die negativen Aspekte des Lebens, die durch Egoismus verursacht werden, aufzugeben. Aber wir können aufrichtig zur Liebe aufrufen und jeden an die Verantwortung erinnern. Wir hoffen, dass wir in dem Maße, in dem wir aufrichtig auf den Konsumismus verzichten, in uns selbst und in anderen immer mehr Platz schaffen werden für das Licht der Auferstehung Christi, das im kommenden Reich Gottes unter uns gegenwärtig sein wird.

 

Düsseldorf, den 12. März 2022

+ Metropolit Augoustinos von Deutschland, Exarch von Zentraleuropa

Vorsitzender und die übrigen Mitglieder der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland